Verzerrer

Das 1×1 der Verzerrerwahl – Stand 08.09.2025
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Einleitung
Dieser Text soll allen helfen, die sich ein Verzerrer-Pedal zulegen möchten. Er basiert auf meinen eigenen Erfahrungen, die auch für andere Gitarristen interessant sein könnten. Wie in allen kreativen Bereichen gilt: Regeln können Orientierung bieten – man darf sie aber jederzeit brechen!
Die Grundlagen
Zuerst gilt es einmal das System E-Gitarre mit all seinen Einzelkomponenten zu betrachten:
Der Spieler
Am Anfang steht der Gitarrist mit seiner individuellen Spielweise. Ein Pedal kann den Klang verändern, doch Stil und Ausdruck entstehen vor allem durch das eigene Spiel:
- Wie stark schlägt man die Saiten an?
- Wie präzise ist der Rhythmus?
- Spielt man komplexe Akkorde, Power-Chords, Arpeggios oder Melodien?
- Lässt man Töne lange ausklingen oder setzt man viele kurze Noten?
Unterschiedliche Pedale erzeugen verschiedene Klänge, doch viele Sounds lassen sich mit mehreren Modellen erreichen. Man ist also freier, als man oft denkt, bei der Pedalwahl.
Saiten und Plektrum
Auch Material und Stärke von Plektrum und Saiten beeinflussen den Klang. Wer ein Pedal testet, sollte unbedingt mit dem gewohnten Plektrum spielen – ein Wechsel von Plastik auf Holz, Metall oder gar eine Münze verändert bereits den Cleansound und damit auch das Zerrsignal.
Die Tonabnehmer
Noch entscheidender sind die Tonabnehmer.
- Single-Coils liefern mehr Bass und Höhen.
- Humbucker betonen die Mitten.
- Aktive Pickups oder Preamp-Systeme erweitern den Frequenzbereich und ermöglichen zusätzliche Klangformung.
Auch der Tone-Regler kann bei passiven E-Gitarren den Klang beeinflussen, meist wird er aber voll aufgedreht gespielt.
Der Output der E-Gitarre
Hinter dem Pedal prägt der Amp den Klang.
- Amerikanische Amps (z. B. Fender) betonen oft Höhen und Bässe.
- Britische Amps (z. B. Marshall) sind stärker mittenorientiert.
Wichtig ist, den Grundsound des Amps zu kennen und das Pedal darauf abzustimmen.
An diesem Punkt zwei mögliche Beispiele:
- Single-Coils + amerikanischer Amp → beides betont Höhen und Bässe. Ein mittenstarkes Pedal verhindert, dass der Sound dünn oder mulmig wirkt.
- 2. Humbucker + britischer Amp → beide liefern viele Mitten. Hier passt ein neutraler oder mittenreduzierter Verzerrer besser, um den Klang ausgewogen zu halten.
Ist schon Verzerrung vorhanden?
Nicht jeder Verstärker klingt völlig clean. Viele Gitarristen nutzen leichte Vorstufen-Verzerrung oder ein mildes Overdrive-Pedal, um dem Ton etwas Rauheit zu geben. Ein Zerrpedal reagiert darauf anders, da es mit einem bereits „angeheizten“ Signal arbeitet.
Auch stark zerrende Amps können durch ein Pedal zusätzlich geboostet werden – z. B. für Soli. Deshalb sollte man vorab wissen, ob der Amp clean bleiben oder selbst verzerren soll.
Tipp bei Demos: Achte darauf, ob wirklich ein Cleansound zu hören ist oder ob der Amp schon angezerrt. Das beeinflusst den Eindruck des Pedals erheblich.
Verzerrung im Pedal
Nicht jede Verzerrung klingt gleich – sie entsteht auf verschiedene Weise:
- Soft-Clipping: Das Signal wird sanft zusammengedrückt → dynamisch, organisch.
- Hard-Clipping: Signalspitzen werden hart abgeschnitten → aggressiv, komprimiert.
Dazu kommen Unterschiede in Kompression, Sustain und Dynamikverhalten. Manche Pedale werden mit mehr Gain dumpfer, andere betonen Mitten stärker. Eine gute Klangregelung ist deshalb wichtig.
Die Klangregelung
Pedale formen den Klang oft schon vor der eigentlichen Verzerrung: tiefe Frequenzen werden gefiltert, um Mulm zu vermeiden. Danach folgen unterschiedliche Arten von Tone-Controls:
- Filter (z. B. ProCo Rat): wie ein Low-Pass-Filter, dunkler oder heller Klang.
- Tone-Regler: heben oder senken bestimmte Frequenzen.
- Bass/Mitten/Höhen: klassische 3-Band-EQs für detailliertere Anpassungen.
- Parametrischer EQ: wählt eine Frequenz und verstärkt/abschwächt sie.
- Grafischer EQ: mehrere Schieberegler für verschiedene Bänder.
Mehr Regler = mehr Flexibilität, aber auch mehr Einarbeitung. Einfachere Tone-Regler bleiben deshalb beliebt.
Fazit:
Pedale unterscheiden sich in Bauweise, Verzerrung und Klangregelung. Doch im Bandmix fallen viele Nuancen weniger stark auf als gedacht. Wichtig ist, dass man sich mit Bedienung, Verarbeitung und Features wohlfühlt.
Die 12-Uhr Stellung
Viele beginnen mit allen Reglern auf 12 Uhr – scheinbar neutral. Doch Vorsicht:
- Bei Tone-Reglern klingt die neutrale Position oft woanders.
- Drive-Regler steigern die Verzerrung nicht immer gleichmäßig.
- Bei manchen Pedalen liegt der „Sweet Spot“ eher am Rand des Regelwegs.
Darum beim Testen unbedingt auch Extremstellungen ausprobieren!
Empfohlene Sweet Spots
Im Netz gibt es viele Vorschläge für „beste Einstellungen“. Das ist ein guter Einstieg, ersetzt aber nicht das eigene Experimentieren.
Beispiel:
Boss MT-2 klingt im Effektweg oft besser, bietet aber dank seiner Mitten-Regler auch direkt im Amp-Eingang brauchbare Sounds.
Boss DS-1 kann mehr als nur „Kurt Cobain“ – es deckt Sounds von Jazz bis Metal ab.
Übungssound vs. Bandmix
Ein Sound, der alleine ausgewogen wirkt, kann im Bandkontext verschwinden.
- Bassbereich: gehört dem Bass und der Kickdrum. Zu viel Gitarrenbass macht den Mix matschig.
- Höhen: werden oft von Becken überdeckt.
- Mitten: hier setzt sich die Gitarre durch.
Darum gilt: Was alleine nasal oder harsch klingt, kann im Bandmix genau richtig sein.
Mehrere Verzerrer hintereinander
Manche Gitarristen schalten mehrere Pedale in Reihe. Sinnvoll ist meist:
- Zuerst das stärker verzerrende Pedal.
- Danach ein milderes Overdrive für zusätzliche Färbung.
So lässt sich mehr Gain erzeugen, ohne den Lieblingssound komplett zu verlieren. Alternativ kann ein Booster oder EQ denselben Effekt haben.
EQ hinter dem Verzerrer
Ein nachgeschaltetes EQ-Pedal ist hilfreich, um den Sound noch gezielter anzupassen – besonders zum Absenken störender Frequenzen. Allerdings müssen dann Verzerrer und EQ immer gemeinsam aktiviert werden (z. B. per FX-Loop-Umschalter).
Extras
Noise-Gate: Einige High-Gain-Pedale besitzen ein eingebautes Gate. Das ist praktisch, funktioniert aber nicht immer sauber. Oft ist ein separates Noise-Gate die bessere Lösung.
Pitch-Shifter: Kombi-Pedale mit Zerrer + Pitch-Shifter nutzen das cleane Signal zur Tonhöhen-Analyse. So arbeitet der Pitch-Effekt sauberer als bei einer nachgeschalteten Lösung. Manche Modelle bieten sogar einen internen Effekt-Loop zum Einschleifen von weiteren Effekten zwischen Zerrer und Pitch-Shifter.
Schlusswort
Die Wahl des richtigen Pedals ist ein kreatives Abenteuer. Manchmal entspricht ein Modell genau der Vorstellung, manchmal entdeckt man zufällig beim Ausprobieren einen neuen Lieblingssound. Entscheidend ist: testen, experimentieren – und Spaß haben!